Das Taubergießen

Ein Flecken Natur, in der Tiere und Pflanzen ungestört leben können, das ist das Taubergießen. Kommen Sie mit auf eine Reise durch Fauna und Flora, Geschichte und Gefahren. Tauchen Sie ein in ein Naturschutzgebiet, das es so nur einmal in Deutschland gibt.

Start der Reise – Ausgangspunkt

Verwunschen wirkende Wälder, durchzogen von ungezählten Wasserläufen und bunt getupften Wiesen. Das ist das Taubergießen. In dem Naturschutzgebiet finden bedrohte Tier- und Pflanzen-Arten ein Refugium, in dem sie ungestört leben und wachsen können. Platz dafür bietet ihnen eine Fläche von etwa 1700 Hektar. Die Lage in Südbaden sorgt für ein angenehmes Klima. Wobei das Taubergießen Grenzen überschreitet. Um die 700 Hektar gehören zwar den deutschen Gemeinden Kappel, Rheinhausen und Rust, der größere Rest aber dem elsässischen Rhinau.

Grenze zwischen Elsass-Lothringen und Baden
Grenze zwischen Elsass-Lothringen und Baden

Was zwischert denn da? Die Vogel-Welt

Erklingt da nicht ein liebliches Gezwitscher in den Baumwipfeln? Auf einem Ast sitzt ein Pirol in seinem gelb-schwarzen Federkleid. Er liebt Auenwälder und fühlt sich deshalb im Taubergießen wohl – genauso wie der Eisvogel und weit über 200 andere Vogel-Arten. Etwa 50 davon finden sich in Deutschland nur noch selten. Manche haben sich dauerhaft in dem Gebiet heimisch eingerichtet. Andere legen nur eine kurze Reiserast ein oder bleiben über die Wintermonate.

Eisvogel
Eisvogel

Azurjungfer und Admiral – das Insekten-Reich

Das markante „Zzzzz“ hört der Mensch nicht gerne. Aber nicht nur Schnaken surren durch die Auenwälder. Auch andere Insekten kann das aufmerksame Auge entdecken. Wie ein Nashornkäfer, der über den Boden krabbelt. Um die 1000 Käfer-Arten leben im Taubergießen. Von den etwa 40 Libellen-Arten trifft der Beobachter am häufigsten auf die Hufeisen-Azurjungfer. Auch der Admiral hat hier sein Revier – wie mehr als 400 weitere Schmetterlingsarten. Das Kleine Nachtpfauenaugen beispielsweise lebt nur ein paar Tage.

Admiral
Admiral

Sie lieben es feucht – Reptilien

Reptilien dagegen gehören zur Minderheit. Nur wenige Vertreter finden sich im Taubergießen wie die Ringelnatter oder die Blindschleiche. Amphibien finden in den Auen die perfekte Heimat. Sie lieben es schön feucht. Die Gelbbauchunke zum Beispiel oder der Moorfrosch.

Blindschleiche
Blindschleiche

Warum das Taubergießen taub ist

Das Nasse gab dem Gebiet auch seinen Namen. In dem Gewirr aus Wasserwegen finden sich überall „Arme“, in denen mühelos bis auf den Grund geblickt werden kann. Das sind sogenannte Gießen. Sie werden aus Quellen gespeist, die aus einem Grundwasser kommen, das aus dem Schwarzwald zum Rhein fließt. Das glasklare Wasser spiegelt in faszinierender Art und Weise die Natur. Da sich die Temperatur in den Gießen auch im Winter wenig ändert, bildet sich auf ihnen kein Eis. Sie haben jedoch wenig Nährstoffe und deshalb wenig Fische. Somit ist es „taub“, wie die Fischer sagen.

Nah am Nass gebaut – wasserliebende Tiere

Ohne Leben ist das Wasser aber dennoch nicht. Unter der Oberfläche ist beispielsweise der Europäische Wels (auch Waller genannt) zu Hause. Bis zu drei Meter groß können diese Fische werden. Gerade wegen ihres großes Mauls beflügeln sie die Phantasie. Passt da nicht auch ein kleiner Hund rein, der ahnungslos ein paar Runden im kühlen Nass dreht? Doch selbst wenn der Fellträger nachts schwimmt, also zu der bevorzugten Beutezeit des Wallers, passt er kaum in sein Schnappschema. Im Maul und Magen landen eher Fische wie Rotaugen und Karpfen, Amphibien, Insekten und auch mal junge Wasservögel.

Den Weg zurück in das Taubergießen gefunden hat der Baumeister und Landschaftsgestalter – der Biber. Allerdings wird er am Wasser häufiger gesichtet als er tatsächlich vorhanden ist. Denn gerne wird der Biber mit der Nutria verwechselt. Beide Arten sind zwar Nagetiere. Beide stammen ursprünglich aus Amerika. Aber der Biber hat mit einem Meter den deutlich größeren Körper. Und auch sonst gibt es einige Unterschiede: Ohren, Barthaare und Schwimmbewegungen beispielsweise.

Nutria und Schwan
Nutria und Schwan

Seltene Schönheiten – die Orchideen

Ein Anziehungspunkt für viele Besucher sind die Orchideen im Taubergießen. Ob Fliegen-Ragwurz oder Violetter Dingel, ob Purpur-Knabenkraut oder Sumpf-Stendelwurz: Wer diese seltenen Schönheiten entdecken will, wandert am besten auf dem Orchideenweg (6,5 Kilometer lang) – und lässt dabei die Finger von ihnen. Das Pflücken ist, wie jeder Eingriff in die Natur, streng verboten. Aber allein schon das Anschauen der mehr als 24 Arten auf den Orchideenwiesen ist ein Erlebnis.

Orchideenpracht
Orchideenpracht

Weich und hart – der Wald

Wer trotz der Blütenpracht den Blick über die Bäume schweifen lässt, dem fällt auf: Der Wald verändert sich. An den Wasserläufen und an Stellen, an denen der Boden feucht ist, wurzeln gerne Weiden. Wie die Silber- und die Korbweide, aus denen in früheren Zeiten, der Name deutet es schon an, Körbe geflochten wurden. Aus diesen Arten und weiteren Verwandten bestand der ursprüngliche Auwald. Auch Pappeln bevorzugen einen feuchten Untergrund. Nebenbei bemerkt: Im 20. Jahrhundert wurden sie in der Ortenau bevorzugt angepflanzt, um den Hunger der Papier- und Kartonage-Industrie zu stillen. Lahr wurde nicht umsonst als „Schächtele-Stadt“ bezeichnet. Im Tauergießen bilden Pappeln gemeinsam mit den Weiden die sogenannte Weichholzaue (etwa 260 Hektar).

Deutlich weniger Nässe vertragen Eichen und Ulmen. Sie sind typische Bewohner der Hartholzaue (rund 775 Hektar). Ihr Lebensboden wird, wenn überhaupt, nur kurz überflutet. Dafür siedeln in ihrer Nachbarschaft übrigens gerne Maiglöckchen.

Der Blick zurück – über den Rhein hinaus

Das Taubergießen wird oft als der letzte Urwald Deutschlands bezeichnet. Aber da verklärt die Romantik den Blick, denn unberührt von Menschenhand mag das Gebiet jetzt sein. Früher sah das anders aus und selbst heute beeinflussen Eingriffe um das Taubergießen herum letztlich auch das Leben im Wald und Wasser.

Alte Rheinkarte aus dem 19. Jahrhundert

Der Rhein, der am westlichen Rand des Taubergießens vorbeifließt, streift schon lange nicht mehr wild und weit durch die Landschaft. Im 19. Jahrhundert wurde der mächtige Strom Schritt für Schritt in ein festes Bett gezwungen. Gebiete, die im Lauf der Jahreszeiten überflutet wurden, blieben nun trocken. Fauna und Flora veränderten sich.

Doch der Rhein wurde nur scheinbar gebändigt. Schwoll er in früheren Zeiten an, gab es das Wasser einfach auf seinem Weg gen Norden nach links und rechts ab. Die Natur war auf diese Überflutungszeiten gut eingestellt. Seit der Begradigung werden die nassen Massen im Flussbett immer größer, bis sie an einer Stelle durch den Damm brechen – und den Menschen damit Probleme bereiten.

Mit dem „Integrierten Rheinprogramm“ will das Land Baden-Württemberg einen Schritt zurück machen. 13 Hochwasser-Rückhalteräume entstehen zwischen Basel und Mannheim. In ihnen soll das Wasser wieder seinen Weg in die Natur finden. Einer davon ist der Polder Elzmündung, der das Taubergießen betrifft. Versprochen wurde, dass das Naturschutzgebiet erhalten bleiben soll. Wie sich das Ganze tatsächlich auswirkt, wird sich aber wohl erst in einigen Jahren zeigen.

Als sich der Rhein noch ungestört bewegen konnte, bildete er den Nährboden für einen Auenwald, der auf beiden Seiten des Flusses bis zu zwei Kilometer breit war. Den Taubergießen nutzten die Menschen, um ihre Schweine und Gänse zu füttern und Kies und Sand abzubauen. Holz dagegen wurden seltener geschlagen. Kein Wunder: Vor allem Gestrüpp und Sträucher wuchsen dort.

Nachdem Vater Rhein sein Bett bezogen hatte, gab es mehr trockenes Land. Und damit mehr Boden für Bäume. Mitte des 19. Jahrhunderts pflanzten die Menschen unter anderem Eichen und Ulmen. Später folgten Arten wie Birken, Linden und Hainbuchen. Und nach dem Zweiten Weltkrieg die bereits erwähnten Pappeln.

Auf der französischen Seite sah das zunächst anders aus. Schlechte Erreichbarkeit und große Sumpfgebiete waren zwei der Gründe, die einer ausgedehnten Nutzung im Wege standen. Dann starben in den 1960er- und 1970er-Jahren die Ulmen. Ein Pilz setzte ihnen zu. Etwa ein Viertel der Bäume war weg und machten Platz für neue Pflanzungen.

Schlusspunkt und Denkanstoß

Doch auch wenn der Mensch oft Hand anlegte, blieb genügend Raum, in dem viele Tier- und Pflanzenarten ihre Heimat haben. Und seit 1979 das Taubergießen zum Naturschutzgebiet erklärt wurde, können sie dort ungestört leben. Es liegt an uns allen, dass das auch so bleibt.

Autorin: Anja Rolfes

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